AUF BERGSTRASSEN ZU HAUSE
Der Druck, keinen Fahrfehler zu begehen, ist auf den engen und verwinkelten Bergpisten ungleich höher als auf der breiten, mit komfortablen Sicherheitszonen bestückten Rundstrecke. Der erst 24-jährige Kyrill Graf stellte sich Anfang letzten Jahres dieser schwierigen Herausforderung – er wechselte von Tracktool-Fahren auf die berüchtigten Pisten der Berge. Ob das wohl gutgehen konnte?
Automobilbegeisterung hat in der Familie Graf eine lange Tradition. Bereits Kyrills Großvater verkaufte Fahrzeuge der bayerischen Marke BMW an seine Schweizer Landsleute. Heute ist das über Jahrzehnte gewachsene Autohaus in den Händen von Kyrills Vater und wird Stück für Stück auf die Nachfolge an die dritte Generation vorbereitet. Der 24-Jährige ist schon jetzt für den Bereich Verkauf sowie Marketing verantwortlich und besitzt nebenbei auch das Privileg, einziger AC-Schnitzer-Importeur der Schweiz zu sein. Neben dem Vertrieb dieser exklusiven BMW-Modelle ist der Junggeselle auch für die spezielle Umrüstung sowie Anpassung auf die Schweizer Verkehrsvorschriften, inklusive Gutachtenerstellung, zuständig. Bleibt denn neben so viel Arbeit noch Zeit für den Rennsport? „Na klar!“, antwortet Kyrill – und beginnt zu erzählen.
„Begonnen hat alles im Alter von 18 Jahren. Zuvor bin ich sporadisch immer mal wieder mit meinen Freunden ein paar Runden mit Indoor-Go-Karts gefahren, doch mit der Volljährigkeit durfte ich dann endlich an einem Trackday teilnehmen. Das hat mich so gepackt, dass ich bis 2021 dabeigeblieben bin.“ Ein selbst auszusuchendes Thema für eine Projektarbeit in der Berufsschule führte dann auch zu dem entsprechenden Fahrzeug für die Rundstrecke. Kurzerhand wurde ein E46er BMW 330i fachmännisch mit den entsprechenden Zutaten für einen Trackday bestückt. Neben einem Überrollbügel sowie Schalensitzen verbaute der Schweizer auch ein KW-Gewindefahrwerk. Eingesetzt wurde der BMW auf der französischen Rennstrecke Anneau du Rhin, nur rund eine Stunde von Kyrills Heimatstadt Rupperswill im Kanton Aargau entfernt. Als automobilinteressierter Jugendlicher sind einem die neuen Medien bekanntlich nicht so fern. Über kleine YouTube-Filmchen wurde seine Aufmerksamkeit irgendwann auf den Bergrennsport geleitet und das Feuer für den aktiven Motorsport entfacht. 2020 verhinderte die Corona-Pandemie die Teilnahme am schweizerischen Suzuki Swift Slalom Cup, und so stieg das Greenhorn 2022 gleich in den extrem schwierigen Bergrennsport ein.
Den Grundstein legte Kyrill im Winter 2021/2022. Sein Freund und heutiger Mentor, der Bergrennspezialist Robin Faustini, tauschte damals seinen Formel-3000-Rennwagen gegen einen BMW E46 M3 GTR ein. Nur ein paar Wochen später kaufte Kyrill ihm den BMW ab. Das war der Beginn eines neuen Abenteuers. Bei dem „GTR“ handelt es sich um eine originale Werkskarosserie von BMW Motorsport, die speziell für Einsätze im 24h-Rennsport konzipiert wurde. Eingesetzt wurde der Rennwagen über viele Jahre von dem deutschen Motorsport-Team Walkenhorst, bis er irgendwann in die Schweiz verkauft wurde. Der damalige Besitzer tauschte das mächtige 8-Zylinder-Aggregat gegen einen hochdrehenden 6-Zylinder aus, was dem Charakter des BMW jedoch nicht schadete. Kyrill passte den Rennwagen auf die aktuellen FIA-Rennsport-Bestimmungen an und lackierte ihn in der BMW-Motorsport-typischen Farbgebung.
Das erste Roll-out fand im französischen Anneau du Rhin statt und dauerte genau eine Runde. „Der BMW war viel zu laut, und wir mussten gleich wieder einpacken. Kurzerhand disponierten wir um und verschoben das quasi erste Roll-out nach Kroatien auf die Bergrennstrecke von Skradin, was gleichzeitig auch mein erstes Bergrennen bedeutete. Also eine Doppel-Premiere“, erinnert sich der Newcomer, dessen Anreise über 19 Stunden in Anspruch nahm. Ein nicht funktionierendes Paddel-Shift am Rennlenkrad zwang Kyrill dazu, die Gangwechsel des sequenziellen Getriebes über den Schaltstock auf der Mittelkonsole vorzunehmen. Dafür, dass es in erster Linie darum ging, sich an das neue Renngerät zu gewöhnen, gab es keine weiteren Probleme. Mit einem unerwarteten 7. Platz von 14 Teilnehmern in seiner Kategorie der Tourenwagen E1 (3.000 – 3.500 ccm) konnte er durchaus sehr zufrieden sein und sein Potential eindeutig belegen. Kyrill profitierte davon, dass die Schweizer Bergmeisterschaft erst Anfang Juni des laufenden Jahres begann, und so konnte er an allen sechs Veranstaltungen teilnehmen, um wichtige Erfahrungen mit seinem kräftigen Sportgerät zu sammeln.
Seine bis dato beste Platzierung erreichte der 24-Jährige mit Platz 3 in seiner Gruppe beim Bergrennen La Roche-La Berra. Ein Gastauftritt im vergangenen Jahr führte den gebürtigen Schweizer auch nach Deutschland, genauer gesagt bis in den hohen Norden. Hier fand, vor den Toren Osnabrücks, das nördlichste Bergrennen in Deutschland statt. Die 2,03 Kilometer lange Strecke schlängelt sich hinauf auf den Uphöfer Berg und war auch im vergangenen August wieder ein Highlight für alle Bergrennfreunde, da dieser Lauf auch zur Europameisterschaft zählt. Neben der traumhaften Kulisse und den zahlreichen internationalen Fahrern mag Kyrill auch die ganz besondere Fan-Nähe sowie das Flair, das die Organisatoren jedes Jahr erneut hinbekommen. „Ich habe noch gute Erinnerungen an die Veranstaltung. Ich war im Training etwas zu übermütig, habe in einer Rechtskurve die Linie zu sehr geschnitten und touchierte einen Reifenstapel. Dadurch sind die Stoßstange und der rechte Kotflügel etwas eingerissen“, erinnert sich der Rennfahrer zurück, der mit dem 5. Platz von 10 Teilnehmern in seiner Gruppe der FIA E1 ab 3.000 ccm sehr zufrieden war. Einen weiteren „Aha-Moment“ erlebte der Schweizer in seiner Heimat Ende August beim Bergrennen Les Rangiers (St. Ursanne), als er bei regennasser Strecke den Bremspunkt verpasste und von der Piste abkam. „Zum Glück waren dort keine Gräben oder Bäume, die das Rennende bedeutet hätten“, so der Schweizer.
Alles in allem beendete der Bergneuling seine erste Rennsaison in der Schweizer Bergmeisterschaft auf dem 63. Gesamtrang von insgesamt 116 gestarteten Fahrern. Anders als in Deutschland werden in der Schweizer Meisterschafft die Fahrer nicht in ihren Gruppen sowie Kategorien gewertet, sondern klassenübergreifend.
Für die kommende 2023er Bergsaison schaut Kyrill ganz optimistisch in die Zukunft. Zurzeit ist er mit den Budgetplanungen beschäftigt. „Geld verdient man in diesem Sport nicht, gerade wenn man eine komplette Saison mit so einem großvolumigen Rennwagen plant. Die Kosten sind doch enorm.“ Dennoch wird Kyrill im kommenden Jahr mit seinem E46 M3 GTR wieder das Starterfeld bereichern. Versprochen hat der sympathische Schweizer uns, dass er vom 5./6. August 2023 wieder in Osnabrück an den Start gehen wird.
Text: Michael Heckel
Fotos: Michael Heckel, Max Wittmer (1)
Feature Facts:
22002er BMW E46 M3 GTR (Rennklasse: FIA E1 Tourenwagen;
3.000 bis 3.500 ccm)
Motor:
Reihensechszylinder, Saugmotor, Carbon-Airbox; leistungsoptimiert sind Kolben, Pleuel, Kurbelwelle, Ansaugung, Fächerkrümmer, Vanos-Delet; ca.450 PS bei 8200 U/min, Fächerkrümmer und Auspuffanlage mit Mittelschalldämpfer (Europameisterschaft mit Kat)
Kraftübertragung:
Hinterradantrieb, sequenzielles 6-Gang-Getriebe (Drenth), Differenzialsperre: 55-65 %, Sinter-Rennkupplung, zwei Differenziale für kurze (bis ca. 220 km/h) und lange (ca. bis 280 km/h) Rennstrecken
Fahrwerk:
McPherson-Federbeine mit Stabi, Uniball-gelagert, KW-Competition-Gewindefahrwerk, Dämpfer in Zug- und Druckstufen verstellbar
Bremse:
VA: AP-Bremsanlage, HA: Brembo-Bremsanlage, ohne ABS
Räder/Felgen:
VA: ATS in 9 x 18, HA in 13 x 18
Reifen (Herst./Größe):
VA: Avon in 280/650 R18, HA in 300/650 R18
Karosserie:
FIA-Sicherheitstank, Makrolonscheiben; GFK-Bauteile: Stoßfänger vorne und hinten, Kotflügel, Verbeiterungen und Heckspoiler; Sicherheitszelle verschweißt von BMW Motorsport
Innenraum:
abnehmbares OMP-Wildlederlenkrad, 6-Punkt-Sabelt-Gurte, OMP-Schalensitz RS-PT, MoTec-Digitaldisplay, digitale Ganganzeige, ATL-Tankanzeige
Gewicht:
1.230 kg