1990er 316i E30

Die Schubkarre

750 Prozent mehr Power? Aber hallo!

Nachdem die ganze Familie blau-weiß verstrahlt war, fiel auch bei Christoph der Apfel nicht weit vom Stamm. Einer Hyundai-Jugendsünde folgten allerlei 3er sowie 5er und noch im dritten Lehrjahr zum Kfz-Mechatroniker ein M3 E92. Und selbst der war ihm bald zu schwach …

Der Wunsch nach einem Turbo und mehr Leistung brachte 2016 einen bald heftig modifizierten M5 F10 in den Fuhrpark, 2021 krönte ein Meisterbrief die Kfz-Karriere des Ilseders: „All die Autos waren zwar schön, schnell, neu und voller Technik – aber bei weitem nicht der Sleeper, den ich eigentlich schon immer wollte. Ein altes Auto mit ganz viel Leistung, die man ihm nicht sofort ansieht! Anfang 2020 fand ich in Süddeutschland den `Die Schubkarre` genannten E30 und damit die Erfüllung meiner Wünsche. Der Zustand dieser in Brandenburg aufgebauten Kanonenkugel war mittelmäßig; es gab einiges zu tun, bevor der 3er richtig lief. Doch ich wusste, dass mich unter der Haube mit dem hochgezüchteten R6 die ultimative Waffe erwartete: ein komplett neu und nur mit den haltbarsten und teuersten Teilen aufgebauter M50B25 Turbo.“

Langsam merkte Christoph, dass er sich mit der Schubkarre eine Legende angeschafft hatte – so hatte der E30 beim German Superrace mit 304,1 km/h einen Königsegg düpiert, der auf der kurzen Strecke die 300er-Marke verfehlte, vor rund zehn Jahren eine höchst respektable 10,9 mit 209 km/h im Ziel auf der Viertelmeile eingefahren oder bei leicht geöffnetem Fenster und knapp 300 Sachen seine Heckscheibe eingebüßt… So ist das, wenn 750 PS auf exakt 1050 kg Leergewicht treffen. Und als der 32-Jährige zum Prüfstand kam, bekam einer, der den Wagen von früher kannte, Schnappatmung und weigerte sich, erneut einzusteigen. Denn einst, als während der Abstimmung bei 160 km/h bergauf der Ladedruck eingesetzt hatte und der BMW wegen durchdrehender Hinterräder weggerutscht war, hatte der Herr die zwei Kilometer Rückweg lieber zu Fuß bewältigt.

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Das 325-Emblem auf der Heckklappe ist angesichts des M50B25 keine Lüge.

Da die angegebenen 750 PS zunächst nicht anlagen, krempelte Christoph die Ärmel hoch, verkabelte die Elektrik zum Großteil neu, überholte den gewaltigen Holset-HX-52-Turbolader aus einem Scania-R450-Renntruck und widmete sich in deutlich über 400 Arbeitsstunden Problemen in Öl- und Spritversorgung, Steuerkettenführung, Kühlung sowie Kraftübertragung. Obendrein fand er nach Tausch des Getriebes heraus, dass eine Sachs-Zweischeiben-Vierpad-Sintermetall-Kupplung als einzige nicht nach ein paar Vollgasfahrten in Rauch aufgeht. Nach mehreren Probe- und Log-Runden war der 3er wieder reif für den Prüfstand, wo sich nach etlichen Läufen und weiteren kleinen Eingriffen in die Elektronik 400 PS bei etwa 1 bar Ladedruck für die Straßenzulassung eine Zwischenmap von knapp 500 PS sowie für die Viertelmeile bei voller Beatmung 751,9 PS ergaben.

 

„Durchdrehende Räder sind selbst bei den montierten 245er Pneus und dem 188er Differenzial mit 40-Prozent-Sperre vorprogrammiert. Sind die Räder nicht optimal warmgefahren, raucht und quietscht es noch bei Tempo 180 im vierten Gang. Die Gesichter der Beifahrer beim ersten Mal Durchladen sprechen für sich“, berichtet der stolze Besitzer. „Die Schubkarre ist nicht vergleichbar mit anderen 700-PS-Autos, primär wegen des Gewichtsunterschieds – mein M5 ist mit knapp zwei Tonnen fast das doppelt so schwer wie der E30! Mit dem fahre ich mit der linken Hand und beschleunige entspannt auf 300, der kleine 3er sorgt hingegen für Gänsehaut und Herzklopfen. Der ballert dank Flatshift, also Gangwechseln ohne Verlassen des Gaspedals zwecks Erhaltung des Ladedrucks bei voller Leistung, von 100 auf 200 in km/h in unter fünf Sekunden – das ist Supersportwagen-Niveau. Angesichts nicht vorhandener Fahrassistenten sind hier ordentlich Geschick und natürlich Eier aus Stahl vonnöten.“ Letzterer Umstand ist es dann auch, der Christophs Schubkarre wesentlich von üblichen einachsigen Dreiseitenkippern abhebt.

Text: Arild Eichbaum
Fotos: Frank Schwichtenberg

Der Käfig ist bis nach vorn auf die Dome verschweißt.
Wenn der dumpfe Klang aus der durchgehenden 89-mm-Abgasanlage nicht schon verdächtige Blicke auf sich zieht …
… dann wissen die meisten spätestens beim Verschwinden der Zapfpistole im Kofferraum, dass da etwas nicht serienmäßig ist.

 

 

 

Feature Facts: 1990er 316i E30

Motor:
R6 M50B25 Grauguss ohne Vanos, aufgebohrt um 0,48 mm; CP-Schmiedekolben, 9:1-Verdichtung, Eagle-Pleuel, originale neue Kurbelwelle feingewuchtet, ARP-Stehbolzen, Athena-Schneidring-Kopfdichtung, härtere Ventilfedern mit Titanfedertellern und leichteren Hydrostößeln, 276°-Turbonockenwellen mit 10,5 mm Hub, Nuke-Einspritzleiste, handgeschweißte Alu-Ansaugbrücke und offenes Blow-off-Ventil von PPF, Synapse-Wastegate, handgeschweißter T4-Twin-Stoßaufladungskrümmer, Holset-HX-52-Hybrid-Turbolader, Accufab-76-mm-Drosselklappe,
89-mm-Downpipe, 2 Simons-Schalldämpfer, 89-mm-Abgasanlage, Arlows-Kat, Ladeluftkühler 600 x 300, 76-mm-Ladeluftrohre, VAG-Leerlaufsteller; frei programmierbares Vipec-V44-Motorsteuergerät mit Phormula-KS4-Klopftool, Bosch-Breitband-Lambdasonde, Greddy-Ladedruckregelventil, rote VAG-Zündspulen, Siemens-Deka-870-ccm-Einspritzdüsen, je eine Walbro- und AEM-Benzinpumpe mit separaten Kraftstofffiltern; Dash-8-Kraftstoffleitungen, Kraftstoff- und Kraftstoffpumpenkühler; Aeromotive-A1000-Benzindruckregler, M3-E36-Ölfiltergehäuse mit externem 10-Reihen-Ölkühler, E34-Ölwanne, M3-E36-Wasserkühler mit elektrischer Pumpe, digitaler Davies & Craig Controller für die WaPu und E-Lüfter von Spal

Kraftübertragung:
M3-E36-ZF-Fünfgang-Schaltung, 300-mm-Short Shifter; M5-E34-Schwungrad, erleichtert und gewuchtet; Sachs-RCS-200-2-Scheiben-4-Pad-Sintermetall-Kupplung mit begrenztem Kupplungsweg, feingewuchtete 328i-E36-Kardanwelle, 188er Differenzial mit 3,15:1-Übersetzung und 40-Prozent-Sperre, Hinterachse durch eingeschweißte Stahlleisten verstärkt, originale M50-Antriebswellen

Fahrwerk:
komplett E36-Technik, Querlenker vorne mit exzentrischen Lagern, E36-Lenkung; KW-Gewindefahrwerk Variante 1 mit Uniball-Domlagern vorn

Bremsen:
vorn 300-mm-Scheiben mit E46-Sätteln, hinten 323-ti-272-mm-Scheiben

Räder:
BBS „RC 304“ in 8 x 17 H2 ET38, schwarz gepulvert

Reifen:
vorn 215/40 ZR17 87W Nexen „Nfera SU1“, hinten 245/35 / ZR17 87W Hankook „Ventus V12 EVO 2“

Exterieur:
Grundfarbe Granit-Silber, weiß foliert; M-Technik-2-Front, Schiebedach zwecks Gewichtsersparnis entfernt, Reserveradmulde entfernt und Blech eingeschweißt zwecks Verbesserung der Unterboden-Aerodynamik, 40-Liter-Kunststoff-Renntank

Interieur:
Innenraum leergeräumt, Pleie-Motorsport-Käfig, Teppich teils entfernt, Luisi-Mirage-Alcantara-Lenkrad, Nato-Notaus-Knochen, Sparco-Sprint-Rennschalensitze und -4-Punkt-Rennsportgurte, Awron-Datendisplay, Öldruckanzeige mit Warnsummer; Generatorspannungs-, Ladedruck u. Abgastemperaturanzeige; Digitalcontroller für WaPu und E-Lüfter, Schalter für Ölkühlerlüfter, 2. Wasserkühlerlüfter und Kraftstoffkühlung

 

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