Von der Piste auf die Straße
Legenden-Renn-Coupé mit der Lizenz zum öffentlichen Straßenverkehr
Zeitsprung in die 1970er: Willy Brandt ist Bundeskanzler, in Deutschland findet erstmals eine Fußball-WM statt, und auf der Rennstrecke sorgen bärenstarke Gruppe-5-Tourenwagen für Furore. Mitten unter ihnen BMWs vom Schlage des 3.0 CS, die mit ihrem martialischen Aussehen Autoverrückte jeden Alters faszinieren. Diese Rennwagen müssen zwar reglementbedingt „alle Bestandteile aufweisen, die für die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr notwendig sind“, doch auf der Straße sieht man sie nie. Viele Jahre später bestätigt eine Ausnahme die Regel: der straßenzugelassene E9 von Franz Hartl aus Niederbayern.
Franz ist bereits seit seiner Jugend überzeugter BMW-Fahrer. Alles begann 1983 mit einem 1602. „Ich habe ihn damals dann ziemlich schnell zu einem 2002 tii umgebaut“, erzählt Franz. Er genoss den Wagen, bis er ihn bei einem unverschuldeten Unfall verlor. Neuere BMW-Modelle traten an seine Stelle, doch Franz blieb immer auf der Suche nach klassischem bajuwarischem Blech. Das intensivierte sich zu Corona-Zeiten – wo wir vermutlich alle viel Zeit online verbrachten… So auch Franz, der dabei auf einen E9 3.0 CS im Gruppe-5-Umbau stieß. „Nachdem ich den Wagen einmal gesehen hatte, konnte ich ihn nicht mehr vergessen. Ich schrieb mehrere Mails, bis endlich ein Anruf vom Verkäufer kam.“ Es folgte eine Begutachtung vor Ort, und Franz entschloss sich zum Kauf des Coupés.
Den rund 150 Kilometer langen Heimweg von Bad Feilenbach ins heimische Bad Birnbach absolvierte der CS auf einem Anhänger. Doch schon da merkte Franz, wie viel Aufsehen das Auto erregte. Kein Wunder, denn die rennmäßige Aufmachung des BMW ist ja nun alles andere als unauffällig. Franz schmunzelt: „Ich war sicher, dass mir dieser Wagen sehr viel Spaß machen würde.“
Zuhause angekommen, ging es erst einmal auf die Hebebühne. Die Bestandsaufnahme ergab, welche Reparaturen und Umbauten notwendig sein würden. Tatsächlich gab es einiges zu tun, zumal „der E9 in den 1990er-Jahren nochmals umgebaut und typisiert wurde“, erklärt Franz.
Zunächst kam das vorhandene Fahrwerk raus und wurde durch ein KW-Gewindefahrwerk der Variante 3 ersetzt, das Franz bei Kerscher bestellte. Es folgte der Getriebeausbau mit anschließender Erneuerung des Nehmerzylinders und der Instandsetzung der Schaltung. Nächster Punkt auf Franz‘ Liste: die Bremsanlage. Sie wurde ausgebaut, zerlegt und wieder „straßentauglich“ zusammengesetzt. In diesem Zuge widmete sich Franz auch den BBS-Alus, die er zerlegte, polierte und den Felgenstern goldfarben lackieren ließ.
Dann der Motor. Hier handelte es sich nicht (mehr) um den originalen M30-Reihensechszylinder. Der war vom Vorbesitzer durch einen Sechszylinder aus einem M5 (E28) ersetzt worden. Das 2.535 ccm große und rund 285 PS starke Aggregat bereitete Franz anfangs einige Probleme. Wie sich herausstellte, war die Lambda-Sonde beziehungsweise deren Fehlen eine Ursache. Franz sicherte sich die Unterstützung der Firma Behrendt Automobile, die auf den Service für BMW-Young- und -Oldtimer spezialisiert ist. Alex Behrendt und sein Team setzten den Motor wieder instand.
Ein „Sorgenkind“ war der Auspuff: Nicht eingetragen und in infernalisch laute Sidepipes mündend, hätte er bei der TÜV-Abnahme so viele Chancen gehabt wie ein Schneeball in der Hölle. Hier kam Franz einmal mehr die Firma Kerscher zur Hilfe. Die Spezialisten aus Falkenberg bauten einen neuen Schalldämpfer und Abgasrohre, die mittig am Heck des Wagens münden – selbstverständlich mit TÜV-Segen.
Da zudem das Fahrwerk und die Recaro-Schalen bis dato nicht eingetragen waren, wurde auch das nachgeholt – und der E9 passierte die Zulassungshürde. So durfte der BMW, der ursprünglich für das Gruppe-5-Reglement der 1970er Jahre aufgebaut wurde, endlich auch am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen.
Und das tut er ausgiebig: Franz fährt mit dem Auto gerne zu BMW-Oldie-Treffen oder macht mit Gleichgesinnten Wochenendausflüge. „Der Wagen macht viel Spaß beim Fahren“, freut sich Franz, „und es ist schön, wie Leute an der Straße oft mit einem Lächeln oder einem ‚Daumen hoch‘ auf ihn reagieren. Er ist für Jung und Alt halt ein echter Hingucker.“
Das kann man nur bestätigen: Bereits ein „normaler“ E9 ist eine extrem seltene Erscheinung, umso mehr gilt das für eine straßenzugelassene Version im Gruppe-5-Trimm.
Text: Bernd Bartels
Fotos: Frank Schwichtenberg
Feature Facts: 1975er BMW E9 3.0 CS (Gruppe-5-Umbau)
Motor: Motorblock M88 (aus BMW M5, E28), Zylinderkopf vom S38 B36, 2.535 ccm, Einzeldrosselklappen, Fächerkrümmer, Sportluftfilter, individuell angefertigte Auspuffanlage, Leistung ca. 285 PS
Kraftübertragung: Fünfgang-Sport-Schaltgetriebe, Sperrdifferenzial; Achsübersetzung 3,64
Fahrwerk: höhenverstellbares KW-Gewindefahrwerk Variante 3
Bremse: vorne innenbelüftete 275er Bremsscheiben, 4-Kolben-Festsattel; hinten innenbelüftete 270er Bremsscheiben, 2-Kolben-Festsattel
Räder: BBS, dreiteilig, vorne Typ „RS 149“ in 10,5 x 15 H2, hinten Typ „RS 148“ in 13 x 15 H2
Reifen: Pirelli, vorne 285/40 VR 15, hinten 345/35 VR 15
Karosserie: einzelangefertigter Frontspoiler, Heckflügel nach Vorbild des E9 CSL, Verbreiterungen und Dachspoiler aus GFK-Laminat (70er-Jahre-Rennsport)
Innenraum: originale E9-Instrumente, graue Recaro-Sportsitze mit M-Streifen, graue Rücksitze mit M-Streifen, Schroth-Hosenträgergurte, Lederlenkrad