Der kleine Tiger
Rennsport-Replika mit Biss
Die großen Tiger von Henschel waren international eher schlecht gelitten, die kleinen Tiger von Alpina genossen indes einen Spitzenruf. So kommt es auch, dass dem bayerischen Sympathieträger mit zahlreichen Nachbauten wie vorliegendem Prachtkerl Anerkennung gezollt wird.
Zur Saison 1969 trat Tuning-Pionier Alpina offiziell mit einem professionellen Rennstall in den Rennsport ein. Dabei setzten die Buchloer zwei BMW 2002 und zwei BMW 1600-2, wie die zweitürigen Modelle zunächst inoffiziell zur Unterscheidung von ihren viertürigen Neue-Klasse-Verwandten hießen, ein. Diese wurden von den erfahrenen Fahrern Prinz Ferfried von Hohenzollern, Prinz Leopold von Bayern, Gerold Pankl und den jungen Heißspornen Nikki Lauda und Hans-Joachim Stuck über die Piste gejagt. Doch auch Privatfahrer wie Hans Freiherr von Richthofen fuhren mit dem BMW 2002 beachtliche Erfolge ein. Da der nicht nur in der Werkstatt, sondern auch im Marketing sehr bewanderte Burkard Bovensiepen darauf bestand, die Fahrzeuge seines Alpina-Rennstalls müssten auf ihren Wegen zum Triumph makellos sichtbar und leicht identifizierbar sein, entschied er sich für das Farbschema des Tigers.
Neben der Auffälligkeit war von Bedeutung, dass dieses schöne Raubtier alle Attribute verkörpert, die man mit einem kraftvollen, eleganten und letztlich auch einem sympathischen Auftritt verbindet. Demzufolge setzte Alpina ab diesem Zeitpunkt für Rennzwecke nur noch Fahrzeuge mit dem Serienfarbton „Colorado“ ein. Die Motorhaube, der Kofferraumdeckel und der restliche Flankenbereich oberhalb der Chromleisten wurden in blendfrei-modischem Mattschwarz nachlackiert. Durch die Chromleisten und das Typenemblem wurde das orange-schwarz-silberne Farbschema des Tigers bestens getroffen. Schnell bekamen die im Rennsport sehr erfolgreichen Alpina 02er wie beabsichtigt dann auch den Spitznamen „kleine Tiger“.
Dieser kleine Tiger erhielt sein heutiges Outfit in Griechenland. Dort wurde der am 26. Mai 1971 gebaute und am 1. Juni erstzugelassene Einsteiger-BMW, der den ersten Teil seines Lebens in Freiburg verbrachte, durch einen rennsportbegeisterten Werkstattinhaber von einem biederen 1600-2 mit der Serienfarbe „Sahara“ zu einem kleinen Tiger mit dicken Backen, knackigem Fahrwerk und ordentlicher Leistung umgebaut. Anschließend mischte der Tüftler mit dem „Colorado“-Kracher bis 2013 im hellenischen Motorsport mit. Im Folgejahr kehrte der wilde BMW in sein ursprüngliches Herkunftsland zurück und wurde von einem Händler aus Oberursel feilgeboten. Als ein Leipziger Sammler das Fahrzeug vor zehn Jahren im Internet entdeckte, entschloss er sich sofort, den Klassiker zu besichtigen und letztlich auch zu erwerben.
Denn eine harmonischere Optik als die eines mit Schweinebacken verbreiterten 02ers in den Farben des Tigers mit der Kombination der originalen dreiteiligen Alpina-Felgen gäbe es nicht, zitiert Sammlungsbetreuer Thomas Fenchel seinen Auftraggeber. Aus dessen Sicht stellte Burkard Bovensiepens Designwahl der Alpina 02er einen absoluten Geniestreich dar. Dass diese Rennfahrzeuge in ihrer Hochzeit obendrein sämtliche Rennserien dominierten, war die Krönung des Ganzen. „Es ist schon ein erhebendes Gefühl, wenn man diesem drehfreudigen 02er die Sporen gibt und darüber nachdenkt, dass einige legendäre Fahrer in den Siebzigern ihre Rennsporterfolge in nahezu den gleichen Fahrzeugen erzielt haben“, sinniert Thomas Fenchel.
„Selbst wenn unser 1600 mit seinen 140 PS bei 7000 Touren nicht die Leistung eines originalen kleinen Tigers von 175 PS bei 7500 bis 8000 Umdrehungen erreicht, haben einige Fahrzeuge der heutigen Zeit durchaus Probleme, ihm aus dem Stand zu folgen. Dies liegt neben dem geringen Gewicht natürlich auch an der Kombination vom 235/5-Getriebe mit der kurzen Übersetzung des Differenzials. Nochmals wilder wird der Tiger, wenn statt des Straßensetups sieben Zoll breite Compomotive-Racing-Räder mit Matador-SM-2-Semislicks im Format 210/530 R13 für die Piste montiert werden“, schwärmt der Betreuer der Sammlung. „Bei unseren Ausfahrten zur Schiffsmühle in Höfgen, die eine hervorragende Kombination aus Autobahn, kurviger Landstraße und einer hervorragenden Küche bieten, schlägt sich der kleine Tiger mit Bravour gegenüber mit seinen ebenfalls leitungsgesteigerten Stallgenossen, einem 2002 Alpina A4 mit 160 PS, einem BMW 2002 turbo mit 236 PS und einem 165 PS starken 2002 ti.“
Eine Restauration oder eine neue Lackierung ist nicht angedacht, da ein Rennwagen aus Sicht des Besitzers auch Kampfspuren und ein paar Macken aufweisen sollte. Allerdings könnte es im Vorderwagen zu Änderungen kommen, hat doch der Leipziger Sammler in seiner Halle noch einen 2,3-Liter-Schmiedekolbenmotor von rund 220 PS mit M3-Unterbau und 2002-Alpina-Zylinderkopf nebst einer Alpina-Einzeldrosselanlage im Regal stehen. Mal schauen, wo die Reise hingeht…
Text: Arild Eichbaum
Fotos: Frank Schwichtenberg
Feature Facts: 1971er BMW 1600
Motor: R4 M10, 1573 ccm, 304°-Nockenwelle, bearbeitete Kanäle, 2 Weber 40DCOE mit offenen Ansaugtrichtern, Schmiedekolben, Elektrolüfter, elektrische Benzinpumpe, 140 PS bei 7000 U/min, Alpina-Abgasanlage mit Fächerkrümmer
Kraftübertragung: Fünfgang-Sportgetriebe 235/5; Hinterachsübersetzung 4,11:1 mit 40% Differenzialsperre; Hinterradantrieb
Fahrwerk: Bilstein-Sportfahrwerk mit 35 mm Tieferlegung, vorn 10- und hinten 30-mm-Spurverbreiterungen, Domstrebe vorn
Räder: dreiteilige Alpina-Alu-Rennrräder in 7,5×13
Reifen: Champiro 60 in 205/60 R13
Karosserie: original „Saharabeige“, jetzt aktuell „Colorado-Orange“/Mattschwarz; 5-cm-Kotflügelverbreiterung („Alpina-Schweinebacken“), Überrollkäfig
Interieur: Schalensitze Sparco „Pro 2000 VTR CS 98“, Oreca-Hosenträgergurte, Fußstütze Fahrerseite, V2A-Fußraumverkleidung vorn, Rennsport-Instrumentencockpit, Raid-Sportlenkrad, Aluminiumschaltknauf, Rennpedalerie, Notaus-System, Startknopf und Schalter für Benzinpumpe und Elektrolüftung in Mittelkonsole, Feuerlöscher im Fußraum vorn rechts