Operation Goldfisch
Mehr hilft mehr: Ende der 80er experimentierte BMW mit einem V16 für den 7er
Die zweite 7er-Generation trat aus dem Schatten der S-Klasse und kam mit ihrem Zwölfzylinder den Marktbegleitern zuvor. Damit war das Wettrüsten auf den Autobahnen eröffnet. Um die Konkurrenz auf Abstand zu halten, lotete man in München aus, wie viele Zylinder unter die Haube eines 7ers passen. Damals entstanden zwei Versuchsfahrzeuge, die sich den Spitznamen „Goldfisch“ teilen. Während der erste Versuchsträger seit 2019 bekannt ist, lüftete BMW das Geheimnis um die zweite V16-Evolutionsstufe erst 2024 zur Techno Classica.

Motorenentwickler Adolf Fischer (Bild) bekam den Auftrag, einen 16-Zylindermotor zu bauen. Ende 1987 war der erste Motor fertig, Anfang 1988 lief der „Goldfisch“ auf dem Prüfstand.
Der BMW E38 750iL V16 „Goldfisch“ stand lange in einer Garage unter einem BMW-Gebäude, bis dieser – wie oben beschrieben – 2024 das Tageslicht wieder sehen konnte.

Nach dem Produktionsende des Barockengels, landläufig schlicht als BMW V8 bekannt, sowie des zweizylindrigen 700 konzentriere sich die Entwicklungsabteilung zunächst auf die erfolgreichen Vierzylinder. Auch wenn BMW einen V8 von Glas „erbte“ und über mehrzylindrige Konfigurationen nachdachte, lief der E3 schließlich nur mit Reihensechsern vom Band.


Auch für den Nachfolger blieb die M30-Familie die einzige Option: Während der in die Ölkrisenjahre fallenden Entwicklung des E23 entschied man sich trotz entsprechender Versuchsmotoren, die viel Potenzial versprachen, gegen Extra-Brennräume. BMW leistete stattdessen in Form des 745iA Pionierarbeit in Sachen Elektronik und Turbo-Technik. Mit dem E32 lieferten die Münchner 1986 dann einen Paukenschlag ab: Nicht nur ließ die schlanke Limousine die einheimische Konkurrenz, namentlich die barocke S-Klasse und den biederen Audi 200, übelst alt aussehen, sondern tischte auch erstmalig seit 1945 einen Zwölfzylinder aus deutscher Fertigung auf.

Mit seinen 300 PS übernahm der 750i den Chefposten in der Luxuslimousinen-Hackordnung. Selbst der mächtige V8 des Mercedes 560 SE bekam in der Kat-losen ECE-Variante gerade 299 PS zusammen. Nur Jaguar konnte ebenfalls mit einem Zwölfzylinder auftrumpfen: Der damals schon altmodische XJ Serie III V12 kam auf 264 PS – wenn er denn lief. Für die BMW-Produktplaner kein Grund, sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen – es war abzusehen, dass das Benz-Imperium zurückschlagen würde.

Um in der Oberklasse die Oberhand zu behalten, folgte Motorenentwicklungschef Dr. Karlheinz Lange der Formel: mehr Zylinder, mehr Hubraum, mehr PS! Zusammen mit seinem langjährigen Kollegen Adolf Fischer machte er sich – zunächst ohne Auftrag des Managements – an die Entwicklung eines 16-Zylinder-Motors. Dazu verlängerten die beiden die Architektur des M70 pro Bank um zwei Zylinder. Das resultierende Monstertriebwerk kam auf einen Hubraum von 6,7 Litern und war rund 30 cm länger als der V12.

Zur Kraftübertragung wurde das Sechsgang-Schaltgetriebe aus dem 850i herangezogen, und weil der 402 PS starke 16-Zylinder im Vorderwagen keinen Platz für einen Kühler ließ, wurden die Wärmetauscher kurzerhand in den Kofferraum verlegt. An den hinteren Seitenteilen leiteten kiemenartige Einlässe Frischluft zu den Kühlerlamellen und brachten dem Versuchsträger seinen Spitznamen „Goldfisch“ ein. Ohne Platz für schicke Aktenkoffer ist eine Business-Limo aber offensichtlich sinnlos, weswegen die Pläne nicht weiter verfolgt wurden – zumindest offiziell: „Das Triebwerk war nie für die Verwendung in einem Serienfahrzeug gedacht“, lautete später das Statement an die Presse.


Der erste „Goldfisch“ rollte in die Prototypen-Sammlung und wurde erst nach rund 30 Jahren dem Publikum präsentiert. Bis dahin blieb der Super-Siebener mit der Kraft der 16 Brennräume ein unbestätigtes Gerücht, und kaum jemand wusste, dass die Geschichte eine Fortsetzung hatte. Das änderte sich, als die BMW-Archivare im Jahr 2024 „Goldfisch“ Nummer Zwo aus ihrer geheimen Tiefgarage ans Licht der Öffentlichkeit holten.
Die zweite Inkarnation des 16-Zylinder-Phantoms erscheint wesentlich näher an der Produktionsreife als sein Vorgänger. Die behelfsmäßigen Kiemen sind verschwunden, und der auffällig lange Vorderwagen beherbergt neben dem V16-Triebwerk auch das komplette Kühlsystem. Die Leistung des auf 1990 datierten Erlkönigs gibt BMW mit 348 PS an, über 50 Pferde weniger als im Ur-„Goldfisch“; die manuelle Sechsgang-Box war einer Automatik. gewichen.


Während der erste „Goldfisch“ eine etwas ungehobelte, technikfokussierte Machbarkeitsstudie darstellte, lässt die darauffolgende Version erahnen, wie ein „767i“ E38 hätte aussehen können. Karosserie und Innenraum basieren noch erkennbar auf dem E32, etliche Designelemente lassen jedoch bereits das Erscheinungsbild der folgenden Baureihe erkennen. Letztlich stand wohl der Aufwand, den V16 in die Serie zu überführen, in keinem Verhältnis zu den erwarteten Stückzahlen. Technisch machte der neue M72B54-V12 mit seinen 360 PS den V16 ohnehin überflüssig.
Bleibt die Frage, wie die „Operation Goldfisch“ im Falle einer Serienfertigung ausgegangen wäre? Ob der Über-7er zum Liebling der Reichen, Schönen und Mächtigen geworden wäre, oder ob die komplexe Technik ihn zu einem Schicksal als Pannenkönig verdammt hätte, ist ungewiss. Mit ziemlicher Sicherheit kann man jedoch davon ausgehen, dass der gute Q in „Der Morgen stirbt nie“ dem Agenten 007 anstelle eines 750iL einen Serienabkömmling des „Goldfisch“ als Dienstwagen übergeben hätte.
Text: Frank Mundus
Fotos: BMW AG






















